Im südwestlichsten Zipfel Oberbayerns liegt mit dem Pfaffenwinkel ein Paradies für Genusswanderer vor der Kulisse der Ammergauer Alpen, in dem Kirchen und Klöster Akzente setzen. Hier nehme ich dich mit auf eine Pilgerwanderung zur Wieskirche, die Wallfahrtskirche und UNESCO-Welterbe ist. Weiter geht es auf Holzbohlen durchs Wiesfilz, eine faszinierende Moorlandschaft.



Inhaltsverzeichnis
Zwischen Moor und Wallfahrtskirche – Pilgerwanderung zur Wieskirche
Pilgerwandern liegt seit Jahren im Trend. Kein Wunder – immer mehr Menschen suchen eine Auszeit von der Hektik des Alltags. Aber es muss nicht gleich der Jakobsweg durch Nordspanien nach Santiago de Compostela sein. Im Pfaffenwinkel, einer stillen Landschaft vor den Bergen, kreuzen sich gleich mehrere Pilger- und Meditationswege, die keine sportlichen Höchstleistungen verlangen, sondern perfekt zum Entschleunigen sind. Ein idealer Ausgangspunkt fürs „Schnupperpilgern“ ist die Kirche in Steingaden, deren mächtige Türme sich seit 900 Jahren hier in den Himmel schieben.

Fakten zur Pilgerwanderung zur Wies
In rund 2,5 Stunden führt der Wanderweg von Steingaden zur Wieskirche und über den Brettleweg zurück (9,6 Kilometer, 203 Höhenmeter). Mit Zeit zum Besichtigen und für die Einkehr ein Halbtagesausflug. Eine schöne Familienwanderung, aber nicht für Kinderwagen geeignet.


Auftakt am Welfenmünster Steingaden
Als Bernhard von Clairvaux am Weihnachtstag 1146 zum zweiten Kreuzzug aufrief, machte sich auch Welf VI. aus dem mächtigen Geschlecht der Welfen auf den Weg ins Heilige Land. Zuvor ließ er aber schnell noch das Kloster zu Steingaden mit einer prächtigen Kirche bauen. Diese wurde zerstört und wiederaufgebaut, den Baumoden der Zeit angepasst und überlebte die Säkularisierung, die die Chorherren vertrieb, als Steingadener Pfarrkirche.
Im Schneckentempo schreitet Gabriele Hoss-Reinhard mit ihrer kleinen Wandergruppe vorbei an mittelalterlichen Säulen im gotischen Kreuzgang des Welfenmünsters von Steingaden. So stimmen sich die Wanderer auf die spirituelle Wanderung ein, die vor ihnen liegt. „Die Langsamkeit entdecken“ nennt die Pilgerbegleiterin die Übung.

Trotz barocker Freskenpracht und jubilierender Rokokoengel im Innenraum der Kirche – der Geist des Mittelalters ist hier noch lebendig. In der Marienkapelle zum Beispiel, wo sich zwei Jakobspilger ihren Stempel abholen. Ihr nächstes Ziel ist die Wallfahrtskirche „Zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“, die die meisten als Wieskirche kennen. Auf den Weg dahin machen sich auch Hoss-Reinhard und ihre Pilgergruppe, der ich mich für eine Etappe anschließe.
Auf dem Ammergauer Meditationsweg durch eine spirituelle Landschaft
Wir durchqueren den Bauernort Litzau mit seinen bildschönen Bauernhöfen – viele mit Bio-Label. Blöckende Schafe, meckernde Ziegen – Pfaffenwinkler Landidylle. Dann geht es durch ein Wäldchen und bald schon taucht die „Wies“ am Horizont auf. Der Wegweiser „Ammergauer Meditationsweg“ schickt uns auf einen Wanderpfad durch die Wiesen, der direkt auf die Wallfahrtskirche zuführt.


Die grüne Voralpenidylle des Pfaffenwinkels, hinter der sich dramatisch die Ammergauer Alpen auftürmen, ist wie geschaffen, die Batterien aufzuladen. Eine Landschaft zum Durchatmen, in der sich der Alltagsstress schnell verflüchtigt. „Und eine Landschaft mit spiritueller Kraft“, meint Gabriele Hoss-Reinhard. Die Pilgerbegleiterin hat auf ihren geführten Wanderungen immer die Ukulele dabei. Gemeinsames Singen, Atemübungen oder bewusstes Schweigen gehören zu den Impulsen, die sie unterwegs setzt. „Niemand muss mitmachen, das sind nur Angebote,“, betont sie.
Aber natürlich freut sie sich, wenn ihre Gäste kleine Aha-Erlebnisse haben und auch mal an einem Kraftplatz regelrecht kleben bleiben. So wie ich auf der Bank unter einem Wegkreuz mit Blick auf die „Wies“. Hier lasse ich die Gruppe weiterziehen und genieße eine Weile vollendete Ruhe, bevor ich mich in den Pilgertrubel stürze.
Pilgern mit Begleitung
Der Pfaffenwinkel ist Pilgerland und mit dem Jakobsweg, dem Ammergauer Meditationsweg und der Pfaffenwinkler Pilgerschleife „Wilde Flüsse“ führen gleich mehrere spirituelle Wege an der Wieskirche vorbei. Wer sich Begleitung fürs Pilgern wünscht, kannmehrtägige Touren oder eintägige Pilgerwanderungen auf allen Wegen bei einer Pilgerbegleiterin buchen.
Das Wunder von der „Wies“
Faszinierend die beiden so gegensätzlichen Eindrücke der Pilgerstätte: Rechts der Zufahrtsstraße zur Kirche parken die Reisebusse, und Souvenirshops mit Pilgerkitsch warten auf Kunden. Auf der anderen Seite grast mit viel Gebimmel eine Kuhherde und ein Bauer brettert auf seinem Traktor mit Gülletank vorbei. Heute wie vor 300 Jahren liegt die Wieskiche mitten im Bauernalltag.

Dort, wo heute die Kirche steht, fand Wiesbäuerin Maria Lory 1738 eine ausrangierte Prozessionsfigur des gegeißelten Heilands, die Tränen weinte. Das Wunder sprach sich herum und die Pilger strömten bald fleißig. Eine Kirche musste her.
Den Auftrag schnappten sich die Rokokozauberer par excellence: die Gebrüder Zimmermann aus Gaispoint bei Wessobrunn. Johann Baptist Zimmermann (1680–1758), Stuckateur und Maler, hatte schon in Schloss Nymphenburg und der Münchner Residenz Wunderwerke aus Stuck und grandiose Fresken geschaffen. Dominikus Zimmermann (1685–1766) war vor allem ein genialer Architekt.
In der Wieskirche vereinten sie ihre Talente und schufen ihr gemeinsames Meisterstück: eine Kirche wie aus einem Guss vor grandioser Alpenkulisse. Das Raumerlebnis überwältigt: Architektur, Bauplastik und Malerei verschmelzen im Innenraum zu einer Einheit aus Farbe und Form, der ganze Raum scheint zu schwingen. Und heute bringen die Sonnenstrahlen die Stuckengengel zum Tanzen. Inmitten der Rokokopracht die schlichte hölzerne Christusfigur, um die sich letztendlich alles dreht.

Wieskirche – 40 Jahre UNESCO-Welterbe
„Die Wies ist trotz Besuchermassen heute wie vor gut 250 Jahren Pilgerziel und ein Gotteshaus mit besonderer Aura“, hatte schon Sabine Timmer bei unserem Telefonat betont, die die Wieskirche als Site-Managerin betreut und bauliche Maßnahmen koordiniert und überwacht. Denn ganz nebenbei ist die „Wies“ auch UNESCO-Welterbe. Die UNESCO zeichnet Kultur- und Naturschätze von besonderem Wert mit dem Welterbesiegel aus, um zu ihrer Erhaltung beizutragen. Die Wieskirche erfüllte alle Kriterien des Gremiums und kann sich seit 1983 schon mit dem begehrten Titel schmücken. Auf die Aufmerksamkeit, die die Kirche seither weltweit bekommt, ist man in der Region stolz. „Wir stehen auf einer Stufe mit dem Taj Mahal“, freut sich Sabine Timmer. Und 40 Jahre UNESCO-Welterbe wurden im Pfaffenwinkel 2023 gebührend gefeiert.
Auf dem Brettleweg durchs Moor
Gegenüber vom Eingang zur Kirche, wo heute der Gasthof Schwaiger Gäste verwöhnt, wohnte übrigens Dominikus Zimmermann bis zu seinem Tod. Nach einer Erfrischung im dortigen Wirtsgarten geht es für mich weiter zum Wiesfilz, einem der Hochmoore im westlichen Pfaffenwinkel. Hinter einem Bauernhof markiert ein Drehkreuz den Brettleweg, der seinem Namen alle Ehre macht. Auf schmalen Holzplanken balancieren Wanderer hier durchs Moor, was ein bisschen Konzentration verlangt und gleichzeitig ein kleines Abenteuer ist.



Moore im Voralpenland
Am Alpenrand liegen zahlreiche Moore, die sich am Rande eiszeitlicher Gletscher bildeten. In den rund 12 000 Jahren seit dem Ende der letzten Eiszeit lagerten sich dort, wo das Eis langsam auftaute und das Wasser nicht versickern konnte, Pflanzenreste ab. Sauerstoffmangel sorgte dafür, dass sie nicht vollständig abgebaut wurden und sich in Torf verwandelten. Die Moore wuchsen, bis immer mehr Menschen im 18./19. Jahrhundert auf die Idee kamen, sie zu entwässern und zu kultivieren. Das nahm ihnen das Unheimliche und Bedrohliche und ganz nebenbei gewann man Torf, der Brennstoff und Dünger gleichzeitig war. Nur der Natur bekamen die Eingriffe des Menschen nicht gut.

Heute wissen wir: Nur ein nasses Moor ist ein gutes Moor. Die Feuchtgebiete sind Lebensraum für besondere Pflanzen und Tiere, die die sauren und nährstoffarmen Böden des Hochmoors lieben. Verkrüppelte Kiefern, Torfmoose, Moosbeeren. Und jetzt im Spätsommer blüht das Heidekraut violett. Eine verwunschene, melancholische Landschaft. Intakte Moore sind außerdem Wasserspeicher und können bei Starkregen enorme Mengen Wasser aufsaugen. Und der Torf speichert ganz nebenbei mehr Kohlenstoff als Wälder. Wenn das Moor dagegen austrocknet, werden Klimakiller wie Kohlendioxid und Lachgase freigesetzt. Glücklicherweise wies man die Moore um die Wieskirche frühzeitig als Naturschutzgebiet aus und stoppte die kommerzielle Nutzung. Ein Glück für Wanderer heute.
Zauberwald mit Bachgeplätscher
Nach meinem Balanceakt im Moor stehe ich im Wald. Ein moosgrüner Zauberwald mit Farnen und überwucherten Baumstämmen, durch den moorige Bäche mäandern. Eine Landschaft im Fluss. Das Rauschen des Wassers begleitet mich noch eine ganze Weile. Langsam meldet sich auch der Hunger. Dagegen hilft eine Brotzeitstation am Wegesrand: In der Schönegger Käsealm lasse ich mireine Brotzeit aus Heumilch-Käse und Räucherfisch der Region zusammenstellen. Und zum Dessert gibt’s einen göttlichen Topfenstrudel.


Meditativ: der Klostergarten St. Johannes
Noch ein Stück am munter dahinplätschernden Bach entlang, dann liegt das Welfenmünster auch schon wieder vor mir, wo ein letztes Highlight wartet: der Besuch im Klostergarten. Den Garten des Prämonstratenser-Klosters Steingaden prägten im Mittelalter vier Säulen klösterlicher Gartenkultur: Heilung, Ernährung, Spiritualität und Muße. An die ersten Gärtner hier erinnern heute bronzene Miniatur-Mönche verstreut im Garten. Als Freiwillige der Gemeinde den Garten 2008 wiederbelebten, übernahmen sie das klösterliche Konzept. So stehen im Klostergarten heute Heilkräuter neben Würzkräutern.


Herz des Gartens ist ein Labyrinth, ein Jahrtausende altes Menschheits- und Weltsymbol, das den Weg des Menschen zur eigenen Mitte symbolisiert. Ich ziehe die Schuhe aus und spaziere über den Kies zum Zentrum. Doch heute suche ich vor allem die letzte Säule: die Muße, die auch die Prämonstratenser-Chorherren des Mittelalters nach ihrem Arbeitspensum hier genossen haben werden. Ich suche mir einen Sitzplatz im Baumschatten, sauge den Duft der Rosen ein, lausche dem Summen der Bienen und lasse die Gedanken treiben – bis die Glocken des Welfenmünsters mich wieder ins Hier und Jetzt holen.

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